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Was ist so schlimm an den Bildern?

Dresdner Vortrag

von Jan Assmann

 


1. Das Bilderverbot – das seltsamste Gebot der Bibel.

Das Bilderverbot ist das seltsamste Verbot des Dekalogs. Alles andere ist klar verständlich: daß man keine anderen Götter anbeten, den Namen Gottes nicht mißbrauchen, den Sabbat heiligen, Vater und Mutter ehren, nicht töten, nicht ehebrechen, nicht stehlen, nicht falsches Zeugnis ablegen und nicht begehren soll, das leuchtet sofort ein und ist ja auch bei uns bis heute wenn nicht gängige Praxis, dann zumindest gängige Theorie. Für die meisten dieser Verbote finden sich auch außerhalb der Bibel Parallelen. Das gilt vor allem für die Verbote 4-10, also Vater und Mutter ehren, nicht töten, nicht ehebrechen, nicht stehlen, nicht falsches Zeugnis ablegen und nicht begehren. All das steht im Zentrum z.B. der ägyptischen Ethik und vor allem der Totenapologie oder Reinigungsbeichte, die nach ägyptischem Glauben jeder Verstorbene vor einem Totengericht abzulegen hatte. Andere Gebote wie etwa keine anderen Götter anzubeten, darf man zwar in einer polytheistischen Religion wie der altägyptischen nicht erwarten, verstehen sich aber in einer monotheistischen von selbst. Das alles läßt sich also gut verstehen, aber was ist so schlimm an den Bildern, daß Gott sie verbieten muß, und zwar ganz vorn, gleich hinter dem Fremdgötterverbot? Das ist das Rätsel, über das ich heute sprechen will.
Zunächst gilt es freilich, das Rätsel als solches wieder freizulegen. Nach zwei-, dreitausend Jahren des Lebens mit der Bibel ist uns auch das Bilderverbot selbstverständlich geworden. Natürlich, so meinen wir, geht es darum, das Undarstellbare nicht darzustellen, das Unvorstellbare sich nicht vorzustellen, das Unendliche nicht mit Endlichem und das Unvergängliche nicht mit Vergänglichem zusammenzubringen. Es geht also um negative Theologie. Über den verborgenen Gott läßt sich nichts Positives aussagen. Davon steht aber nichts in der Bibel. Nichts liegt den biblischen Texten ferner als negative Theologie. Im Gegenteil, die Texte vermitteln eine sehr lebendige Vorstellung von Gott, sie rufen zu Gottesfurcht und Gottesliebe auf und preisen die Heilstaten eines persönlichen Gottes, der sich aufs Intensivste auf die Welt und die Menschen einläßt. Was aber, wenn nicht negative Theologie, die Nichtdarstellung des Undarstellbaren, kann dann der Sinn des Bilderverbots sein?
Zunächst gilt es zwei Punkte zu klären, die mit diesem rätselhaften Verbot verbunden sind: erstens die Frage der Zählung: handelt es sich hier eigentlich um das zweite oder um einen Teil des ersten Gebots? Zweitens die Frage nach den Bildern selbst: an was für Bilder ist hier gedacht: an Bilder Gottes? Daß man Gott nicht abbilden soll, weil er unsichtbar und unabbildbar ist? Oder an Götterbilder? Daß man sich keine Bilder anderer Götter aufstellen soll? Oder schließlich an Bilder überhaupt: daß man gar nichts abbilden soll? In beiden Punkten ist die Bibel selbst schon vieldeutig.

Zur Frage der Zählung ist zu sagen, daß der Dekalog zweimal vorkommt in der Bibel, einmal im Buche Exodus und ein anderes Mal im Deuteronomium. In der Exodusfassung bildet das Bilderverbot ein eigenes, also das zweite Gebot, im Deuteronomium gehört es zum ersten Gebot, dem Gebot der Anbetung des Einen Gottes dazu. Hier sind Fremdgötter- und Bilderverbot nur Kommentar. Weil aber auch hier die Zehnzahl angestrebt wird, muß diese Fassung das Begehrensverbot aufspalten in Nr.9: Das Weib eines anderen nicht begehren und Nr. 10: sein Haus und seinen Hof nicht begehren. Darauf beruht auch die katholische und die lutherische Fassung der 10 Gebote, die auf das Deuteronomium zurückgehen, während die orthodoxe, reformierte und anglikanische Version auf der Exodusfassung basieren.
Das Bilderverbot erscheint also in der Bibel in zwei Formen: als eigenes, und zwar zweites Gebot in der Exodus-Fassung, und als Teil des Ersten Gebots in der deuteronomistischen Fassung. Als Teil des ersten Gebots unterstreicht es die Exklusivität der Jahweh-Verehrung. Man soll keine anderen Götter anbeten und sich keine Bilder machen, das heißt Bilder anderer Götter. Als eigenes Gebot bringt es einen neuen, eigenen Gedanken zum Ausdruck. Man soll erstens nur Jahweh und keine anderen Götter verehren, und man soll sich zweitens keine Bilder machen. Das schließt auch Bilder von Jahweh ein. Beim Bilderverbot geht es also sowohl um das Verbot der Verehrung anderer Götter, als auch um das Verbot, den wahren Gott im Bild darzustellen. In unseren Augen sind das zwei ganz verschiedene Dinge. Im ersten Fall handelt es sich um Treue und Apostasie, im zweiten um die richtige und die falsche Form der Gottesverehrung. Das erste ist eine politische, das zweite eine Medienfrage. Beide Aspekte gehen im Bilderverbot von Anfang an zusammen.

a) Bilder anderer Götter
Gehen wir zunächst dem ersten Aspekt nach, also dem Bilderverbot als Teil des Fremdgötterverbots. Dieser Aspekt wird im Dekalog selbst, und zwar in beiden Fassungen, Exodus und Deuteronomium, durch einen kommentierenden Zusatz stark unterstrichen:

20:4 Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgend etwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde.
20:5 Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen, an der dritten und vierten Generation;
20:6 bei denen, die mich lieben und auf meine Gebote achten, erweise ich Tausenden meine Huld. 5:8 Du sollst dir kein Gottesbildnis machen, das irgend etwas darstellt am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde.

5:9 Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen und an der dritten und vierten Generation;
5:10 bei denen, die mich lieben und auf meine Gebote achten, erweise ich Tausenden meine Huld.

Daraus läßt sich nur ein Schluß ziehen: Bilder sind eo ipso fremde Götter. Es geht hier also nicht darum, kein Bild von Gott selbst anzufertigen, weil Gott unabbildbar ist, sondern es geht um Bilder anderer Götter. Das Bild wird kritisiert, nicht etwa weil es ohnmächtig ist, unfähig, den wahren Gott abzubilden, sondern weil es allzu mächtig ist, weil es immer schon andere Götter repräsentiert, ganz egal, was es darstellt. Am klarsten bringt diesen Sinn des Bilderverbots vielleicht Arnold Schönberg zum Ausdruck in einer Notiz zu seiner Oper Moses und Aron, in der es zentral um das Bilderverbot geht: „Ein falscher Gott ist in allem enthalten, das uns umgibt, er kann so aussehen wie alles, er entspringt allem, alles entspringt ihm; er ist wie die ganze umgebende Natur und diese ist in ihm, wie in allem enthalten. Dieser Gott ist der Ausdruck einer Naturverehrung und setzt jedes Lebewesen Gott gleich.“ Etwas abbilden, heißt, es vergötzen, es zum Objekt anbetenden Begehrens zu machen. Wer sich Bilder macht, das heißt, Objekte, die etwas darstellen, der tut das, um sich vor ihnen niederzuwerfen und ihnen zu dienen. Schauen wir uns das Gebot im genauen Wortlaut an:

lo ta-assäh lekha pessel we-kol temunah

„Du sollst Dir kein pessel und keinerlei temunah anfertigen“. Was ist ein pessel? Das Wort pessel stellt den Herstellungsvorgang in den Vordergrund. Es ist von einem Verb abgeleitet, das „behauen, schnitzen“ heißt. Ein pessel ist ein „Machwerk“, kein Bild. Zum Bild, das etwas darstellt, im Sinne von Mimesis, wird es erst durch den Zusatz: „und keinerlei temunah“ in der Exodusfassung und in der Deuteronomiumsfassung, ohne das „und“: „d.h. keinerlei temunah“: „kein Schnitzwerk in Gestalt irgendeiner Figur von etwas im Himmel oben und auf der Erde unten und im Wasser unter der Erde., d.h. kein figürliches pessel, kein pessel, das etwas darstellt. Das Wort pessel betont das handgemachte, der Zusatz temunah die Bildbeziehung auf etwas Innerweltliches, Lebendiges. Man soll sich keinen figürlichen Fetisch machen.
Dieses Verbot wird durch zwei kommentierende Zusätze erläutert: Erstens: „Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen.“ Damit wird eindeutig klargestellt: Ein figürliches pessel ist ein Gott, vor dem man sich niederwirft und dem man dient. Zu anderen Zwecken wird ein figürliches pessel nicht hergestellt. Ein figürliches pessel ist kein Kunstwerk, kein ästhetisches Objekt interesselosen Wohlgefallens, sondern funktioniert allein als Gegenstand anbetenden Begehrens. Wer sich ein figürliches pessel macht, der macht sich einen anderen Gott. Mehr noch: der macht sich einem fremden Gott dienstbar. Das Wort „dienen“, cabad, ist hier ganz wörtlich zu nehmen. cäbäd ist der Sklave. Idolatrie heißt nachbiblisch Avodah zarah, „fremder Dienst“, Sklaverei in fremden Diensten. Der Zusatz läßt aber auch die Deutung zu, daß Bilder solange harmlos und erlaubt sind, als man sie nicht anbetet und ihnen nicht sklavisch dient. Das kann man so oder so verstehen; der Islam hat es eher strikt ausgelegt, während das Judentum im Rahmen harmloser Dekoration figürliche Bilder zugelassen hat.
Der zweite Kommentar spricht von Gottes Eifersucht: „Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen, an der dritten und vierten Generation; bei denen, die mich lieben und auf meine Gebote achten, erweise ich Tausenden meine Huld.“ Das Bild ist also der Prüfstein für Gottes Unterscheidung zwischen Freund und Feind. Bildverehrer sind Gottes Feinde: an ihnen rächt er die Missetat bis ins dritte und vierte Glied. Wer sich aber an das Bilderverbot hält, also keine anderen Götter anbetet und Gott treu bleibt, der ist sein Freund und wird für seine Treue bis ins tausendste Glied belohnt.
Das Bilderverbot polarisiert die Welt in Freund und Feind. Bei keinem anderen Gebot wird dieser Zusatz von Freund und Feind gemacht. Man erregt nicht Gottes Eifersucht und wird nicht zum Gottesfeind, wenn man den Namen mißbraucht, den Sabbat nicht heiligt, Vater und Mutter nicht ehrt, tötet, hurt, stiehlt, lügt und begehrt. Das sind zwar todeswürdige Verbrechen. Dennoch eignen sich diese Gebote nicht zur Polarisierung der Welt. Die Welt läßt sich nicht einteilen in Mörder und Nichtmörder, Ehebrecher und treue Ehepartner. Entsprechendes gilt für alle anderen Gebote. Sie läßt sich aber einteilen in Bildverächter und Bildverehrer, Jahweh-Treue und Apostaten. An der Bildfrage zeigt sich deutlicher als an allen anderen Geboten, wer zu Gott steht und wer nicht. Daher ist das Bilderverbot der Inbegriff oder die Signatur des Monotheismus. Der Monotheismus zieht eine Grenze zwischen sich und den anderen Religionen, die er als Heidentum ausgrenzt. Das Bilderverbot definiert dieses ausgegrenzte Heidentum als Götzendienst, Idolatrie. Wer sich Bilder macht, stellt sich auf die Seite der Götzendiener und damit automatisch gegen Gott.
Die Unterscheidung zwischen Freund und Feind polarisiert die Welt. Hier gilt es, sich zu entscheiden. Wer nicht für Gott ist, ist gegen ihn: Entweder/Oder. Wer die Welt in Freund und Feind polarisiert, mobilisiert Gewaltbereitschaft. Auf der politischen Bühne haben wir das vor einem Jahr im Vorfeld des Irak-Krieges erlebt. Die Polarisierung der Welt war Teil der Bush-Politik. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Wer nicht mit in den Krieg zieht, unterstützt Saddam Hussein. Wer sich dieser Aktion verweigert, wird als Feind betrachtet. Das gilt auch auf der religiösen und theologischen Ebene, denn eben diese Gewaltbereitschaft schwingt in dem hebräischen Wort qana „eifersüchtig“ mit. Ein eifersüchtiger Gott schlägt zu im Falle erwiesener Untreue.
Diese Gewalt heißt biblisch „eifern“, qana, dasselbe Wort wie Gottes „Eifersucht“. Eifern heißt mit Gewalt vorgehen, notfalls töten, vernichten, auslöschen. So wie Gott sollen auch die Menschen für das Gesetz eifern. Daher heißt es im Deuteronomium mit Bezug auf die Götzendiener: schließe keinen Vertrag mit ihnen und verschone sie nicht (lo tekhanem). Das Vorbild solchen Glaubenseifers ist Pinchas, der seinen Landsmann Zimri mit seiner midianitischen Geliebten im Liebesakt durchbohrt. Dies Vorbild vor Augen hat Jehuda Makkabi im Widerstandskrieg gegen Antiochus IV Epiphanes das Leben ganzer hellenisch assimilierter Städte ausgelöscht. Das griechische Äquivalent von qana ist zeloun und zelos, eifern und Eifersucht, davon die Zeloten, und das arabische Äquivalent ist natürlich dhihad. Die religiöse Unterscheidung zwischen Freund und Feind, die sich mit dem Bilderverbot verbindet, ist immer noch und vielleicht mehr denn je virulent.
Die Gewalt, die hier mobilisiert wird, trifft nicht nur die Anderen, sondern auch und gerade die eigene Gruppe, sie wirkt nach innen und nach außen. Das Bilderverbot legitimiert den Brudermord, es stellt Jahwehtreue über alle anderen sozialen Bindungen.
Der Text, der diesen Punkt klarstellt, ist die Geschichte des Goldenen Kalbes. Als Mose auf den Sinai gestiegen war, um dort aus Gottes Hand die Gesetze zu empfangen, und bereits 40 Tage ausgeblieben war, verlor das Volk die Hoffnung, ihn lebend wiederzusehen und verlangte von Aaron Ersatz.

Als das Volk sah, daß Mose noch immer nicht vom Berg herabkam, versammelte es sich um Aaron und sagte zu ihm: Komm, mach uns Elohim, die vor uns herziehen. Denn dieser Mose, der Mann, der uns aus Ägypten heraufgebracht hat - wir wissen nicht, was mit ihm geschehen ist.
Aaron antwortete: Nehmt euren Frauen, Söhnen und Töchtern die goldenen Ringe ab, die sie an den Ohren tragen, und bringt sie her!
Da nahm das ganze Volk die goldenen Ohrringe ab und brachte sie zu Aaron.
Er nahm sie von ihnen entgegen, formte das Gold in einer Gußform und goß daraus ein Kalb. Da sagten sie: Das sind deine Götter, Israel, die dich aus Ägypten heraufgeführt haben.

Das Goldene Kalb ist übrigens kein pessel, kein Schnitzwerk, sondern eine massekhah, ein Gußwerk. So wie pessel von einem Verb „behauen“ ist massekha von einem Verb mit der Bedeutung „gießen“ abgeleitet. Die Geschichte geht bekanntlich sehr übel aus:

Als Mose dem Lager näher kam und das Kalb und den Tanz sah, entbrannte sein Zorn. Er schleuderte die Tafeln fort und zerschmetterte sie am Fuß des Berges. Dann packte er das Kalb, das sie gemacht hatten, verbrannte es im Feuer und zerstampfte es zu Staub. Den Staub streute er in Wasser und gab es den Israeliten zu trinken. (19-20)
Mose trat an das Lagertor und sagte: Wer für den Herrn ist, her zu mir! Da sammelten sich alle Leviten um ihn. Er sagte zu ihnen: So spricht der Herr, der Gott Israels: Jeder lege sein Schwert an. Zieht durch das Lager von Tor zu Tor! Jeder erschlage seinen Bruder, seinen Freund, seinen Nächsten. Die Leviten taten, was Mose gesagt hatte. Vom Volk fielen an jenem Tag gegen dreitausend Mann. (26-28)

Diese Geschichte macht ganz deutlich, auf wen die Freund/Feind-Unterscheidung angewendet wird. Sie trennt nicht „Wir“ und „Sie“, sondern schneidet mitten durch die eigene Gruppe und trennt Brüder, Freunde, Nächste. Im Licht dieser Unterscheidung gibt es keine natürlichen Bindungen mehr. An der Bilderfrage scheiden sich Freund und Feind. Das Bilderverbot erweist sich damit als das Gebot der Gebote, das Kernstück des Kernes, das die 10 Gebote bilden unter den 613 Geboten und Verboten der Torah. Wer Bilder verehrt, bricht den Bund, den Gott durch das Gesetz mit Israel geschlossen hat. Das macht Mose symbolisch deutlich, indem er die Tafeln des Bundes zerbricht.
Was ist so schlimm an den Bildern? Sie versklaven uns fremden Mächten. Gegen Bilder wäre nichts einzuwenden, wenn die Welt nicht voller solcher Mächte wäre. Das Bilderverbot setzt eine verzauberte Welt voraus und betreibt ihre Entzauberung. In einer Welt voller Götter stellen die Bilder eine Beziehung zu ihnen her, vergegenwärtigen sie. Warum macht man sich Bilder? Um diesen Göttern zu dienen. Warum dient man diesen Göttern? Um sie sich dienstbar zu machen. Bilder sind Götter, denen man dienen muß. Paulus schreibt den Galatern: „Einst, als ihr Gott noch nicht kanntet, wart ihr Sklaven der Götter, die in Wirklichkeit keine sind.“ Bilder sind Götter, aber falsche Götter. Wer sich von den Bildern lossagt, wer die Bilder zerstört, befreit sich von den falschen Göttern dieser Welt. Monotheismus bedeutet Weltentzauberung, Aufklärung im strengen Kant’schen Sinne als Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Idolatrie ist nichts anderes als selbstverschuldete Unmündigkeit, nämlich Selbstversklavung an die Mächte dieser Welt, eben avodah zarah, „fremder Sklavendienst“.
Daher kämpft der Monotheismus gegen die Bilder an. Sein Ziel ist die Befreiung des Menschen aus der selbstversklavenden Verstrickung in die eingebildeten Mächte einer verzauberten Welt. Seine Waffe ist die Satire. Die biblische Religions-Satire beruht auf der altorientalischen Gattung der Berufssatire. Deren Verfahren besteht darin, bestimmte berufsspezifische Tätigkeiten als ein zielloses, absurdes Treiben darzustellen, das zu nichts nütze ist und nur ermüdend, verunreinigend und verunstaltend auf den derart Tätigen zurückwirkt und ihn dadurch aus der Gemeinschaft und ihren Wertordnungen sinnvollen sozialen Handelns ausschließt. Die beschriebene Tätigkeit oder Handlungsweise wird dadurch komisch verfremdet, daß von bestimmten Voraussetzungen, die ihre Sinnhaftigkeit ausmachen, bewußt abgesehen wird. Die Berufssatire blendet den sinngebenden Rahmen der sozialen Arbeitsteilung aus, die Religionssatire die Sinnvorstellungen der Bildreligion. Hier wird z.B. von der Tatsache abgesehen, daß ein Stück Holz natürlich niemals eo ipso als Götterbild angebetet werden kann, sondern erst einer umständlichen Weihezeremonie unterzogen werden muß, die es mit der Götterwelt in Verbindung bringt und zur zeitweiligen Aufnahme göttlicher Beseelung zubereitet. Die Reduktion des Kultbilds, das nur im Zusammenhang einer hochkomplexen Semiotik als solches „funktioniert“, auf seine bloße Materialität, ist ein verfremdender Trick, der alle Handlungen, die sich auf es beziehen, in das Licht des Absurden stellt. Ich zitiere nur einige Verse aus dem berühmtesten Beispiel, dem 44. Kapitel des Buches Jesaja:

Wer sind sie, die einen Gott machen
und einen Götzen gießen, der nichts nütze ist?
(...)
Der Schmied macht ein Messer in der Glut und formt es mit Hammerschlägen.
Er arbeitet daran mit der ganzen Kraft seines Arms;
dabei wird er hungrig, so daß er nicht mehr kann,
und trinkt auch kein Wasser, so daß er matt wird.
Der Zimmermann (...) hatte Fichten gepflanzt und der Regen ließ sie wachsen.
Das gibt den Leuten Brennholz, davon nimmt er und wärmt sich;
(...) Die Hälfte verbrennt er im Feuer,
(...) und den Rest macht er zu einem Gott,
zu einem Bilde, und kniet vor ihm,
und wirft sich nieder und fleht zu ihm:
Rette du mich, denn du bist mein Gott!'
(...) Man überlegt sich’s nicht, hat weder Einsicht noch Verstand,
dass man dächte: Die Hälfte habe ich im Feuer verbrannt
und auf den Kohlen Brot gebacken, Fleisch gebraten und gegessen.
Aus dem Rest aber habe ich mir einen abscheulichen Götzen (tocebah) gemacht
und nun knie ich vor dem Holzklotz.' (Jes 44, 9-19)

Weitere prominente Beispiele sind Jeremia Kap. 10 und Psalm 115. Es würde zu weit führen, sie hier zu zitieren, geschweige denn die langen Kapitel, die das apokryphe Buch der Weisheit Salomos den Götzendienern widmet. Der Punkt, auf den es mir hier ankommt, ist, daß die Mächte, die in den Bildern zur Erscheinung gebracht werden, eingebildete Mächte sind. Was ist so schlimm an den Bildern? Sie verstricken den Menschen in seine eigenen Einbildungen.
Bilder sind andere Götter, daher machen sie Gott eifersüchtig; aber diese anderen Götter sind eingebildete Götter. Sie werden erst eingebildet und dann abgebildet. Das ist, um es noch einmal zu betonen, eine bewußt polemische und satirische Verfremdung des altorientalischen Bildkults. Dazu wäre von ägyptologischer und assyriologischer Seite viel zu sagen. Uns geht es hier aber nicht um eine Apologie des Bildes. Wir wollen das Bilderverbot verstehen. In erster Annäherung können wir also feststellen: dem Bilderverbot geht es um die Entgötterung oder Entgötzung oder Entzauberung der Welt und um die Befreiung des Menschen aus der Knechtschaft der eingebildeten Mächte.
b) Bilder Gottes
Nun aber zum anderen Sinn des Bilderverbots, dem Verbot, Gott selbst abzubilden. Hier geht es nicht mehr um Treue und Untreue, Freund und Feind, Eifersucht und andere Götter. Gott kann ja nicht auf sein eigenes Bild eifersüchtig sein. Warum darf man Gott nicht abbilden? Hierauf gibt die Bibel selbst eine Antwort. Im Deuteronomium, Kap. 4, 15ff. erinnert Mose das Volk an die Offenbarung Gottes am Berge Horeb:

Nehmt euch um eures Lebens willen gut in acht! Denn ihr habt keinerlei Gestalt (kol-temunah) gesehen an dem Tag, als der Herr am Horeb mitten aus dem Feuer zu euch sprach. Lauft nicht in euer Verderben, und macht euch kein figürliches Götzenbild (pessel temunah), keine Statue (samäl), kein Abbild (tabnit) eines männlichen oder weiblichen Wesens, kein Abbild irgendeines Tiers, das auf der Erde lebt, kein Abbild irgendeines gefiederten Vogels, der am Himmel fliegt, kein Abbild irgendeines Tiers, das am Boden kriecht, und kein Abbild irgendeines Meerestieres im Wasser unter der Erde.
Wenn du die Augen zum Himmel erhebst und das ganze Himmelsheer siehst, die Sonne, den Mond und die Sterne, dann laß dich nicht verführen! Du sollst dich nicht vor ihnen niederwerfen und ihnen nicht dienen.

Hier geht es nun ganz entschieden um die Medienfrage. Wort, nicht Bild; Hören, nicht Schauen: das sind die Medien der Gottesverehrung und Gotteserkenntnis.
Nun ist aber die Unterscheidung, die wir hier treffen zwischen Bildern anderer Götter und Bildern des wahren Gottes vollkommen müßig und überflüssig. Sie ergibt sich nur im Horizont des modernen Denkens. Diese Unterscheidung läßt sich nämlich gar nicht an irgendwelchen objektiven Beschaffenheiten des Bildes festmachen, sondern beruht allein auf seinem subjektiv gemeinten Sinn. Was beabsichtigten die Bildermacher? Wollten sie Jahweh darstellen oder einen anderen Gott? Genau davon wird aber in der Bibel völlig abgesehen. In der Geschichte vom Goldenen Kalb wollten die Israeliten ja keineswegs von Jahweh abfallen und sich anderen Göttern zuwenden. Sie wollten nur Ersatz für Mose schaffen, der für sie die Verbindung zu Gott hergestellt und sie angeführt hatte. Was dabei herauskam, war ein anderer Gott. Da man Gott nicht abbilden kann, weil man nicht weiß wie er aussieht, weil man auch bei seiner Offenbarung nur eine Stimme gehört hat, darum ist jedes Bild automatisch ein anderer Gott. Was ist so schlimm an den Bildern? Weil dabei immer, ob man will oder nicht, ein anderer Gott herauskommt.
Es geht also nicht um negative Theologie, darum, daß man einen unsichtbaren Gott nicht abbilden kann, daß jedes Bild zu kurz greift, daß Gott jenseits aller Vorstellung und daher auch Darstellung verbleibt. Das würde ebenso auch für sprachliche Darstellungen gelten. Das Bild wird nicht gegenüber der Unabbildbarkeit Gottes verworfen, sondern gegenüber seinem Wort. Die Bilder müssen verschwinden, um seinem Wort, der Torah, Platz zu machen. Das meine ich mit dem Begriff der Medienfrage. Was ist so schlimm an den Bildern? Daß sie dem Wort im Wege stehen. Es geht nicht nur darum, die Welt zu entbildern und zu entzaubern, sondern vor allem darum, etwas anderes an ihre Stelle zu setzen: die Torah. Die Torah ersetzt die Bilder, macht sie überflüssig. Wo Bild war, soll Torah werden. Wo Bild ist, kann Torah nicht sein.
Hier werden die Bilder verworfen als der falsche Weg zugunsten des richtigen Weges. Der richtige Weg ist das Gesetz, und das Wort, dabar, das es formuliert. Der Dekalog, die zehn Gebote, heißt hebräisch „die zehn Worte“, das Zehnwort. Weil es das Wort gibt, haben die Bilder abzudanken. Weil man auf Gottes Wort hören kann und hören soll, dürfen keine Bilder dazwischen treten. An die Stelle der Schau, der Kontemplation, tritt das Hören, Lesen, Lernen und Auslegen. Tag und Nacht soll man die Torah studieren. Wer die Gesetze hält, wendet sich von der Welt ab und lebt als ein Fremder auf Erden. So heißt es in Psalm 119 Vers 19: „Ich bin ein Fremder auf Erden: verbirg deine Gesetze nicht vor mir“. Die Zuwendung zum Wort erzwingt die Abwendung von der Welt und ihren Bildern. Die Torah tritt an die Stelle des Kultbilds, Wortgottesdienst an die Stelle des Bildkults. Wo Gott spricht bzw. gesprochen hat, haben die Bilder zu verschwinden. Der Bilder bedienen sich andere Götter als des ihnen angemessenen Mediums, um mit den Menschen in Kontakt zu treten, oder umgekehrt: andere Völker bedienen sich der Bilder zum Umgang mit ihren Göttern. Der Gott Israels aber will, daß auf sein Wort – das heißt: sein Gesetz - gehört wird. Mit anderen Worten: er will nicht Kult, sondern Gerechtigkeit.

Was heißt Torah? Was wird hier an die Stelle der Bilder gesetzt? Das Gesetz, d.h. Gerechtigkeit, d.h. Gottes- und Nächstenliebe. Aus der Gegenüberstellung von Bildkult und Torah ergibt sich für das Judentum, daß, wo Bilder verehrt werden, kein Gesetz, keine Zucht und Ordnung, keine Gerechtigkeit, Treue und Liebe herrschen, sondern Unzucht, Ehebruch, Hurerei, Mord und Totschlag, Lügen, Stehlen, Begehren. Hören wir, was die apokryphe Weisheit Salomos zu den Götzendienern zu sagen hat:

denn entweder töten sie ihre Kinder zum Opfer
oder kommen zu Gottesdiensten zusammen, die sie geheimhalten müssen,
oder feiern wilde Gelage nach absonderlichen Satzungen
und halten so weder ihren Wandel noch ihre Ehen rein,
sondern einer tötet den anderen mit List oder kränkt ihn durch Ehebruch;
und überall herrschen ohne Unterschied Blutvergießen, Mord, Diebstahl, Betrug, Schändung, Untreue, Streit, Meineid, Beunruhigung der Guten, Undank, Befleckung der Seelen, widernatürliche Unzucht, Zerrüttung der Ehen, Ehebruch und Ausschweifungen.
Denn den namenlosen Götzen zu dienen, das ist Anfang, Ende und Ursache alles Bösen (Sap.Sal. 14. 23-27).

Diese groteske Verunglimpfung des Heidentums ist mit ihrer Schwarz-Weiß-Malerei nichts als die konsequente Ausgestaltung der Freund/Feind-Unterscheidung, die schon der Dekalog mit dem Bilderverbot verbindet. In dieser Konstruktion stehen sich Torah und Bildkult gegenüber. Und weil die Idee der Gerechtigkeit die Mitte und den Inbegriff der Torah bildet, ergibt sich, daß den Bildverehrern jede Idee von Gerechtigkeit und jede ethische Orientierung abgeht. Was ist so schlimm an den Bildern? Daß sie zum Bösen anleiten. Sie konstituieren einen Raum ethischer Umnachtung. Wer Bilder verehrt, und wir wissen inzwischen, daß es sich dabei um bildgewordene Einbildungen handelt, kennt die Gerechtigkeit nicht, auf die man nur hören, nicht blicken kann.

So hat es auch die außerjüdische Antike verstanden. Eine ganz ähnliche Darstellung der mosaischen Revolution findet sich z. B. bei Strabo (1.Jh.v.Chr.). Ihm zufolge beschließt ein ägyptischer Priester namens Moses, aus Unzufriedenheit mit der ägyptischen Religion das Land zu verlassen und mit vielen Gleichgesinnten nach Judäa auszuwandern. Seine Lehre besteht in der Erkenntnis, daß "jenes Eine Wesen Gott sei, welches uns alle und Erde und Meer umfaßt, welches wir Himmel und Erde und Natur der Dinge nennen.“ Diese Gottheit könne kein Bild wiedergeben. "Man müsse vielmehr alles Bildnismachen unterlassen und die Gottheit verehren ohne Bildnis.“ Worauf es allein ankommt, um Gott nahe zu kommen, sei, "tugendhaft und in Gerechtigkeit zu leben.“ Der Gott Moses’ will keine blutigen Opfer und orgiastischen Tänze; was er fordert, ist Gerechtigkeit. Der entscheidende Punkt in Strabos Darstellung ist die Verbindung von Bildlosigkeit und Gesetz. Damit hat er genau getroffen, worum es im Deuteronomium geht. Die Bilder müssen verschwinden, wo Gott sich im Wort des Gesetzes offenbart.
Wie steht es nun mit dem Christentum, das sich vom jüdischen Gesetz losgesagt und zu den Bildern zurückgekehrt ist: sind hier die Bilder wieder an die Stelle der Torah gesetzt worden, bedeutet das Christentum, wie etwa Sigmund Freud es sah, eine Rückkehr nach Ägypten? Nein: das Christentum setzt nicht die Bilder, sondern etwas ganz Neues an die Stelle der Torah, eine neue Offenbarung, die die alte aufhebt. Das ist die Idee der Inkarnation. Und das Wort ward Fleisch. Nach wie vor geht es um das Wort, aber in verwandelter Gestalt. Die einzige Möglichkeit, das Gesetz zu überwinden, ist, es zu verwandeln. Wo Torah war, soll Christus werden: telos tou nomou, Ende, Erfüllung, Vollendung des Gesetzes. Das versteht sich als ein Schritt nach vorn, und nicht als Rückkehr zu den Bildern und zur verzauberten Welt. Es handelt sich dabei um eine Aufhebung im Hegelschen Sinne. Die Quintessenz der Torah: Gottes- und Nächstenliebe wird beibehalten. Diese Quintessenz wird aber jetzt mit anderen Mitteln praktiziert: nicht mit denen des Gesetzes, der Verfassung, und damit der Ausgrenzung aus den Völkern, sondern mit den Mitteln des Glaubens und der Gnade. Das neue Zeitalter, wie Augustinus es charakterisiert gegenüber der alten Zeit sub lege, heißt: sub gratia,. Hier stehen sich also nicht mehr Bild und Gesetz gegenüber, sondern Gesetz und Gnade. Gratia heißt aber nicht nur Gnade, Vergebung, sondern auch Anmut. Im Zeichen einer versöhnten Welt darf es auch wieder Bilder geben. An die Stelle einer Kultur des Wortes, des Gesetzes-Wortes, tritt eine Kultur der Gnade, Anmut, Versöhnung, die allen Menschen widerfahren soll. In dieser Kultur ist nichts mehr schlimm an den Bildern. Der paulinische Kampfbegriff heißt bekanntlich „Geist“. Geist gegen Schrift, gegen den Buchstaben des Gesetzes. Der Buchstabe tötet, der Geist macht lebendig. Von den Bildern ist jetzt erst einmal nicht mehr die Rede. In der Torah ist Gott hörbar, in Christus sichtbar geworden. Die Christen haben nicht nur eine Stimme gehört, sondern eine Gestalt gesehen. Mit dem Christentum nimmt der biblische Monotheismus einen iconic turn, von der jüdischen Wortkultur zur hellenistischen Bildkultur.

2. Bildkultur und Wortkultur
Nun hat aber das Christentum das Alte Testament beibehalten und die Zehn Gebote in das Zentrum auch seiner Ethik und Rechtsprechung gestellt. Damit blieb eigentlich auch das Bilderverbot in Kraft. Daher steht die ganze abendländische Geschichte unter der Spannung zwischen Wortkultur und Bildkultur. Das Pendel schlägt mal in der einen, mal in der anderen Richtung aus. Nachdem sich im 4. bis 7. Jh. die christliche Welt mit Bildern angefüllt hatte und der Ikonenkult im Osten aufgeblüht war, brach im 8. Jh. Byzanz der berühmte 100jährige Bilderstreit aus, der teilweise die Form eines Bürgerkriegs annahm. Er endete mit dem Sieg der Bilder. Der Protestantismus bedeutet wieder eine Wende von der Bildkultur zur Wortkultur. Er setzt auf Wort und Schrift, verstehenden Gehorsam und inneren Nachvollzug, fördert den Buchdruck, die Übersetzung der heiligen Texte in die Volkssprachen, die Predigt, um das „hörende Herz“ zu erreichen, den inneren Menschen anzusprechen und nicht die äußeren Sinne. Die Bilder werden aus den Kirchen entfernt, die prächtigen Riten werden abgeschafft, die Religion übt visuelle Askese im Interesse auditiver und interpretativer Intensität. Die Gegenreformation wirft das Steuer wieder herum und bedeutet einen iconic turn sondergleichen. Die Kirchen werden zu Galerien und Theatern, die Religion setzt alles auf aesthetische Prachtentfaltung, um den Menschen durch die Überwältigung aller äußeren Sinne zu Gott emporzureißen. Die bürgerliche Aufklärung führt dann wieder eine Wende in der Gegenrichtung herauf. Gegenwärtig, im Zeichen der Postmoderne, wird wieder allgemein ein iconic turn ausgerufen.
Der amerikanische Historiker Carl Schorske hat in einer brillanten Studie aufgezeigt, wie im Wien des 18. und 19. Jhs. zwei Kulturen neben- und gegeneinander standen. Die eine beschreibt er als „a rational culture of law and the word“, also eine rationale Kultur des Gesetzes und des Wortes, die andere als „a plastic and sensuous culture of grace“, eine formorientierte, sinnliche Kultur der Gnade, Anmut und Schönheit. War ihm bewußt, daß er mit law and grace die augustinische Unterscheidung von lex und gratia wiederholt? Die sinnliche Anmuts- und Schönheitskultur des guten Stils und der gelungenen Form hat ihren Ursprung im gegenreformatorischen Barock, ihren Höhepunkt im maria-theresianischen Wien und ihren bleibenden sozialen Ort in der Aristokratie, die rationale Kultur des Rechts und des Wortes hat ihren Ursprung in der josephinischen Aufklärung und ihren sozialen Ort im liberalen Bürgertum. Schorske verfolgt diesen Gegensatz bis ins 20. Jahrhundert anhand dreier Bühnenwerke, die eine Art Abgesang darstellen: Hofmannsthals Der Turm (1926) als Abgesang auf die höfische Kultur des schönen Stils, Karl Kraus’ Die letzten Tage der Menschheit (1926) als Abgesang auf die Kultur von Recht und Wort und Arnold Schönbergs Moses und Aron (1932) als Abgesang auf die angestrebte Synthese der beiden Kulturen, wobei Aron natürlich für die gegenreformatorische Schönheitskultur und Moses für die aufklärerische Wort- und Gesetzeskultur stehen. Es fällt nicht schwer, dieses Kapitel Wiener Kulturgeschichte in den größeren Zusammenhang der abendländischen Kulturgeschichte einzugliedern und darin denselben Konflikt wiederzuerkennen, der sie seit ihren spätantiken Anfängen durchzieht und, wenn man Schönbergs genialer Konstruktion folgen will, bis auf die Bibel, ja die Urszene und Ursprungskonstellation des Monotheismus, das Brüderpaar Moses und Aaron zurückgeht.
Heinrich Heine bringt diesen Konflikt in seiner Börne-Denkschrift auf folgende Formel:

Menschen sind entweder Juden oder Hellenen, Menschen mit asketischen, bildfeindlichen, vergeistigungssüchtigen Trieben oder Menschen von heiterem, entfaltungsstolzem und realistischem Wesen.“

Statt Juden oder Hellenen könnte man auch sagen: Wortmenschen oder Bildmenschen, Geistfreunde oder Schönheitsfreunde, oder, mit Carl Schorke zu reden, Anhänger einer normativen Wort-Kultur oder Anhänger einer aesthetischen Schönheits-Kultur. Interessant ist Heines Verbindung von Bilderfeindlichkeit und Vergeistigungssucht. Die Gegenüberstellung von Bild und Geist oder Sinnlichkeit und Geistigkeit erinnert unmittelbar an Freuds Konzept eines Fortschritts in der Geistigkeit. In seinem 1939 erschienenen Buch Der Mann Moses und die monotheistische Religion konstruiert Freud seinen Begriff eines Fortschritts in der Geistigkeit ganz ähnlich wie Heine in einer Gegenüberstellung von Juden und Griechen:

Der Vorrang, der durch etwa 2000 Jahre im Leben des jüdischen Volkes geistigen Bestrebungen eingeräumt war, hat natürlich seine Wirkung getan; er half, die Rohheit und die Neigung zur Gewalttat einzudämmen, die sich einzustellen pflegen, wo die Entwicklung der Muskelkraft Volksideal ist.

„Die Entwicklung der Muskelkraft“ wird zwar dem griechischen „Volksideal“ nicht ganz gerecht, spielt aber umso deutlicher auf das Volksideal der Nazizeit an, das in den olympischen Spielen von 1936 seine Triumphe feierte und in Deutschland in wachsendem Maße Roheit und Neigung zur Gewalttat freisetzte. Um auf die Griechen zurückzukommen, setzt er hinzu:

Die Harmonie in der Ausbildung geistiger und körperlicher Tätigkeit, wie das griechische Volk sie erreichte, blieb den Juden versagt.

Aber dann stellt er abschließend klar:

Im Zwiespalt trafen sie wenigstens die Entscheidung für das Höherwertige.

Auch Freud, der sein Moses-Projekt 1934, also in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu Schönbergs Oper, begann, gehört natürlich das in das intellektuelle Feld der von Schorske so meisterlich analysierten Wiener Moderne. Ähnlich wie Schönberg reagierte auch Freud mit seiner Arbeit über Moses auf die Erfahrung verschärfter antisemitischer Verfolgungen.
In seinem Buch spielt das Bilderverbot eine zentrale Rolle. In diesem Gebot erblickte er den entscheidenden Durchbruch in eine Welt der Geistigkeit:

Unter den Vorschriften der Mosesreligion findet sich eine, die bedeutungsvoller ist, als man zunächst erkennt. Es ist das Verbot, sich ein Bild von Gott zu machen, also der Zwang, einen Gott zu verehren, den man nicht sehen kann. Wir vermuten, daß Moses in diesem Punkt die Strenge der Atonreligion überboten hat; vielleicht wollte er nur konsequent sein, sein Gott hatte dann weder einen Namen noch ein Angesicht, vielleicht war es eine neue Vorkehrung gegen magische Mißbräuche. Aber wenn man dieses Verbot annahm, mußte es eine tiefgreifende Wirkung ausüben. Denn es bedeutete eine Zurücksetzung der sinnlichen Wahrnehmung gegen eine abstrakt zu nennende Vorstellung, einen Triumph der Geistigkeit über die Sinnlichkeit, strenggenommen einen Triebverzicht mit seinen psychologisch notwendigen Folgen.

Die Verwerfung der Bilder, und nur sie, erschließt den Zugang in das Reich des Geistes. „Es eröffnete sich das neue Reich der Geistigkeit“. Freud verstand das 2. Gebot als Proklamation der schlechthinnigen Unsichtbarkeit und Unabbildbarkeit Gottes und zugleich als das Signum der jüdischen Auserwähltheit. Ähnlich hatte es schon Kant gesehen. Für Kant stellte das Bilderverbot den Inbegriff dessen dar, was er das Erhabene nannte:

"Vielleicht gibt es keine erhabenere Stelle im Gesetzbuche der Juden, als das Gebot: Du sollst dir kein Bildnis machen, noch irgendein Gleichnis, weder dessen was im Himmel, noch auf der Erde, noch unter der Erden ist usw. Dieses Gebot allein kann den Enthusiasm erklären, den das jüdische Volk in seiner gesitteten Epoche für seine Religion fühlte, oder auch denjenigen Stolz, den der Mohammedanism einflößt."

Die Befolgung dieses erhabensten aller Gebote erfüllt den Menschen mit Stolz und Enthusiasmus, mit dem Gefühl der Überlegenheit gegenüber den Bildanbetern. Freuds Ausführungen über das Bilderverbot als Triumph der Geistigkeit über die sinnlichkeit lesen sich wie ein Kommentar zu diesem Satz Kants. Für Freud geht es bei der monotheistischen Religion um „die Ablehnung von Magie und Mystik, die Anregungen zu Fortschritten in der Geistigkeit, die Aufforderungen zu Sublimierungen“ und den Prozeß „wie das Volk durch den Besitz der Wahrheit beseligt, überwältigt vom Bewußtsein der Auserwähltheit, zur Hochschätzung des Intellektuellen und zur Betonung des Ethischen gelangte.“

Freud sieht im Glauben an die Auserwähltheit das Kernstück der jüdischen Identität. Dieser Glaube und Stolz nährt sich in letzter Instanz aus dem Bilderverbot und aus dem Triebverzicht, den es fordert. Das Bilderverbot impliziert die drei Grundprinzipien der monotheistischen Religion, wie Freud sie definiert: „die Idee eines einzigen Gottes, sowie die Verwerfung des magischen Zeremoniells und die Betonung der ethischen Forderung“. Wie wir gesehen haben, ist die Verbindung von Bilderverbot und Ethik auf der einen, und von Idolatrie und Gesetzlosigkeit, Unzucht und Gewalt auf der anderen Seite der biblischen Tradition tief eingeschrieben. Die Propheten verwerfen (oder zumindest, relativieren) den Opferkult und fordern als erstes Gerechtigkeit. Das Gesetz, und das heißt hier: die Forderungen der Ethik, werden als Wille Gottes erklärt und als das einzige Mittel dargestellt, ein gottgefälliges Dasein zu führen. Freuds Begriff vom Fortschritt in der Geistigkeit verknüpft Bilderverbot und Triebverzicht. Das Bilderverbot ist Abkehr von der Sinnlichkeit und Hinwendung zur Geistigkeit.
Freud stellt die intellektuelle Wortkultur über die sinnliche Bild- und Schönheitskultur. Im Übergang von der einen zur anderen erblickt er einen Fortschritt, einen Fortschritt in der Geistigkeit, eine kollektive Sublimationsleistung, einen menschheitlichen Schritt in Richtung zu einer höheren Stufe des Erwachsenseins. Auf die Frage „Was ist so schlimm an den Bildern?“ würde er sagen, daß sie eine kulturelle Regression darstellen.

Die Moderne steht eindeutig im Zeichen der Wortkultur. In diesem Sinne stellt sich die Frage „Was ist so schlimm an den Bildern“ in einem völlig neuen Sinne. Goethe hat in einer seiner „Zahmen Xenien“ darauf eine Antwort gegeben, die unserer sehsüchtigen, fernsehsüchtigen, bilderwütigen Zeit geradezu auf den Leib geschrieben ist.

Dummes Zeug kann man viel reden,
kann es auch schreiben.
Wird weder Leib noch Seele töten,
es wird alles beim Alten bleiben.
Dummes aber, vors Auge gestellt,
hat ein magisches Recht.
Weil es die Sinne gefesselt hält,
bleibt der Geist ein Knecht.

„Magisches Recht“, „die Sinne gefesselt, der Geist ein Knecht“, das klingt zunächst nach reinstem Deuteronomismus. Was ist so schlimm an den Bildern? Daß sie ein magisches Recht ausüben, die Sinne gefesselt hatten und dadurch den Geist knechten. Das entspricht ganz der jüdischen Sicht. „Wird weder Leib noch Seele töten“ klingt wiederum nach einer Zurücknahme des paulinischen Verdikts des tötenden Buchstabens.
Hier geht es allerdings nicht mehr um Offenbarung und Wahrheit, sondern um „dummes Zeug“. Im Hinblick auf die Offenbarung der Wahrheit konnte das Wort als das einzig mögliche, einzig legitime Medium erscheinen; im Hinblick auf das „dumme Zeug“ erscheint es lediglich als das kleinere Übel. Es macht nicht frei, sondern beläßt dem Geist etwas von seiner kritischen Freiheit.
Klingt das nicht wie ein Plädoyer gegen das Fernsehen, für Zeitung und Radio? Das Wort beläßt dem kritischen Geist seine Freiheit, anzunehmen oder abzulehnen. Das Bild aber nimmt seine Sinne gefangen, übt eine magische Wirkung auf den Betrachter und beraubt ihn seiner kritischen Distanz. In der Tat, unser Problem heute ist nicht mehr die Wahrheit, sondern die sintflutartige Überschwemmung mit dummem Zeug, die längst alle kritischen Pegelstände überschritten hat. Was ist so schlimm an den Bildern? Daß sie uns diesem in Gestalt von Werbung und politischer Propaganda täglich auf uns eindringenden dummem Zeug wehrlos ausliefern. Sie versklaven den Menschen tatsächlich zu „fremder Dienstbarkeit“ an die Mächte dieser Welt und verführen ihn zu Idolatrie und Ideologie.
Aber das gilt nur für das dumme Zeug, das Hauptproblem unseres Medienzeitalters. In Bezug auf das Streben nach Wahrheit und den Fortschritt in der Geistigkeit haben die Bilder gleichen Rang wie die Sprache und gleichen Anteil an der Artikulation der Wirklichkeit. Wo es um Kunst und Erkenntnis geht, wäre es ganz unsinnig, das eine Medium gegen das andere auszuspielen.
Daher ist gar nichts schlimm an den Bildern. Schlimm ist nur, wenn sie zu Medien der Unterdrückung und Verdummung, Manipulation und geistigen Versklavung mißbraucht werden im Dienste politischer Ideologien oder kommerzieller Marketing-Strategien, wozu sie sich offenbar, wie Goethe meint, besser eignen als Worte. Dann muß man sie stürzen.